Reportage in Indien - Darjeeling / by Juergen Wisckow

Ein interessanter Job brachte uns in diesem Monat nach West-Bengalen im Norden Indiens!

Unsere Reise begann in Kolkata ( bis 2001 “Kalkutta” ) mit den Eindrücken einer 5 Millionen Stadt im Osten Indiens. Dass das frühere Kalkutta übrigens nicht am Ganges sondern am Fluss Hugli liegt sei hier nur nebenbei erwähnt …
Wer dieses Land zum ersten Mal besucht, den werden Menschenmassen,  Verkehrsaufkommen und vor Allem die sozialen Aspekte verwirren. Um die Geschichte und die Eigenheiten des Landes auch nur zu akzeptieren bedarf es einer gehörigen Portion Mut und Gelassenheit. Die baldige Erkenntnis: Indien lässt sich ganz sicher nicht in einer einzigen Reise erfassen! Die Freundlichkeit und Offenheit der Menschen laden ein, viel mehr Zeit in diesem faszinierenden Land zu verbringen.
Ein kurzer Inlandsflug nach Bagdogra und eine Busfahrt bringen uns zum eigentlichen Ziel, dem Anfangspunkt einer der außergewöhnlichsten Bahnstrecken der Welt.
"Die Fahrt im Gebirge beträgt vierzig Meilen und dauert acht Stunden. Sie sollte eine ganze Woche in Anspruch nehmen, weil sie so interessant, aufregend, wild und entzückend ist".
So Mark Twain zur Darjeeling Bahn 1897.

DHR - Darjeeling Himalayan Railway! Seit 1999 für "herausragende Ingenieursleistungen bei der bahntechnischen Erschliessung einer Gebirgslandschaft von großer Schönheit" als UNESCO Weltkulturerbe ausgezeichnet, erklimmt diese außergewöhnliche Bahn auf einer Strecke von 83 km von Siliguri bis Darjeeling auf 610mm Spurweite gut 2000 Höhenmeter.
Von Siliguri aus (121müM) arbeiten sich die kleinen B-Kuppler Loks britischer Herkunft mit der Hilfe von sechs Doppel-Spitzkehren und drei Loops in abenteuerlicher Fahrt auf eine maximale Höhe von 2257m in Ghoom, das damit den höchstgelegenen Bahnhof Indiens besitzt. Von dort geht es wieder bergab zum Endpunkt Darjeeling auf 2077m.ü.M.
Vor der Abfahrt unseres Zuges, in Indien liebevoll "Toy Train" genannt, steht ein Kurzbesuch des kleinen Depots in Siliguri an. Wir treffen dort zahlreiche Bahnbedienstete, mit und ohne Uniform, Lokpersonale, Kohlenträger, vier Dampfloks, davon zwei unter Dampf, zwei Dieselloks. Auch Ziegen und Hühner erwarten uns in und um den zweiständigen Lokunterstand. Die Bekohlung der Dampfloks wird durch Menschenkraft erledigt, drei junge, kräftige Männer tragen den Brennstoff in Bastkörben auf dem Kopf zur Lok, wo ein weiterer die massiven Brocken im Tender aufschichtet.
Nachdem unsere Lok 795 mit allen Vorräten ausgerüstet ist, drückt sie ihren kurzen Zug aus zwei blauen 4-achsigen Personenwagen nach Siliguri Junction. Dort beginnt die Fahrt und führt zunächst durch flaches Land mit Teeplantagen um bereits nach zehn Kilometern stetig anzusteigen, dem bengalischen Bergland entgegen.
Der Betrieb der DHR wird durch unzählige, allesamt unbeschränkte Bahnübergänge erschwert, für den sicherheitsbewussten Durchschnittseuropäer zunächst ein irritierender Umstand, fordert doch die kleine Lok mit ihrem putzig erscheinenden blauen Personenzüglein stetig zu waghalsigen Überholmanövern heraus: Wer erreicht die nächste Straßenkreuzung als Erster, Zug oder Straßenfahrzeug? Und wer behält die Nerven wenn es dabei mal "eng" wird? Zur Beruhigung: angeblich gab es auf der im Juli 1881 fertiggestellten Bahn noch nie einen schweren Unfall!
Kaum wird das Flachland verlassen und die Steigung beginnt, zeigen die Satteltank-Loks mit nicht geahnter Geräuschentwicklung was sie können. Zwischen 1889 und 1927 gebaut, bringen diese Maschinen ein Gewicht von höchstens 14 Tonnen auf das Schmalspurgleis. Das erklärt, warum nahezu während der gesamten Fahrt die beiden “Sandmännchen” vorne auf der Lok sind. Bei maximaler Steigung muss immer wieder gesandet werden um ein Schleudern zu verhindern. Weitere wichtige Aufgabe ist es, andere, gegebenenfalls uneinsichtige Verkehrsteilnehmer von den Gleisen zu verweisen.
Erst seit Kurzem ist der Streckenabschnitt zwischen Tindharia und Kurseong wieder befahrbar, ein grosser Erdrutsch 2010 sowie ein weiterer im Jahr 2012 hatten Gleis und Straße in die Tiefe gerissen! Die Wunden in der Berglandschaft sind noch deutlich sichtbar.
Eine Besonderheit der DHR sind die sechs Zig-Zags, doppelte Spitzkehren, in denen der Zug enorm an Höhe gewinnt. Die Lok schiebt dabei ihre Wagen in eine kurze aber heftige Steigung zurück um dann über eine zweite Weiche wieder ihrem Ziel entgegen zu streben. Der Überlieferung zufolge soll die Ehefrau eines britischen Eisenbahningenieurs diese spezielle Art der Streckenführung erfunden haben. Ebenso spektakulär sind die drei Loops, Kehrschleifen mit mindestens 360 Grad. Der Batasia Loop wird zur Hauptreisezeit von Händlern für gute Geschäfte genutzt, die Gleise sind solange "belagert" bis ein Zug kommt und notgedrungen Platz gemacht werden muss.
Kleine Depots, die Lokomotiven und Wagen beherbergen, gibt es neben Siliguri und Darjeeling auch in Tindharia und Kurseong. In Tindharia betreibt die DHR den einzigen Workshop der Strecke, in dem die 14 verbliebenen B-Kuppler unterhalten werden. Die Werkstatt verfügt u.a. über eine Gießerei und baut sogar Rahmen oder Kessel für die betagten, ursprünglich olivgrün und später ziegelrot lackierten Maschinen. Heute fahren sie in einem schmucken Blau. Während die DHR ursprünglich für den Gütertransport erbaut wurde um den weltberühmten Darjeeling Tee vom Hochland in alle Welt sowie hitzegeplagte Urlauber in die kühleren Bergregionen zu bringen, dient die Bahn heute zu einem Großteil touristischen Zwecken. Dampf-Charterzüge zu höheren Kosten für Touristen und Steam Enthusiasts fahren zusätzlich zu den mit Dieselloks betriebenen Zügen, die hauptsächlich von Einheimischen genutzt werden. Die atemberaubende landschaftliche Kulisse sowie der Status als Weltkulturerbe bewirken einen stetigen touristischen Aufschwung der sich bahntechnisch in regelmäßig verkehrenden Sonderzügen namens "Red Panda" oder "Jungle Safari" zeigt.
Was jeder Besucher von Darjeeling sich wünscht: Vom Tiger Hill aus den Sonnenaufgang erleben! Den dritthöchsten Berg der Erde (8586m), den Kanchenjunga sehen! Dafür quälen sich Kolonnen von Landrovern zum berühmten Aussichtspunkt. Hunderte Menschen erwarten geduldig die ersten Sonnenstrahlen und lassen sich auch die Laune nicht verderben wenn sowohl Sonne als auch Himalaya hinter Wolken versteckt bleiben.
Darjeeling, einst ein kleines Bergdorf, ist bekannt sowohl als Ausgangspunkt für Himalaya-Touren wie auch als Garant für feinsten indischen Tee und war zu Kolonialzeiten ein beliebter Erholungsort englischer Herrschaften. Auch heute noch schätzen Inder aus Kolkata oder Dehli das kühle Bergklima. Der Ort Darjeeling wuchs innerhalb weniger Jahre von einem Bergdorf zu einer mittleren Kleinstadt die inzwischen Umweltprobleme durch den massiv wachsenden Kfz-Verkehr hat.
Da es keine Möglichkeiten gibt, die Straßen dem Verkehrsaufkommen anzupassen bleibt den Einwohnern nur, sich mit Geduld und Nachsicht durch schmale Gassen zu quälen. Eng vorbei an Wohnhäusern, Klöstern, Werkstätten und Läden geht es durch die Dörfer und Städte bergauf.
Immer wieder beeindruckend ist die Akzeptanz, die jeder Verkehrsteilnehmer den anderen entgegen bringt! Oft bleiben nur wenige Zentimeter zwischen Zug und Jeep, Kuh, Rikscha oder Marktstand. Und wieder ist hier Gelassenheit ein Muss!